Dienstag, 27. März 2012

EU-Parlament will ACTA zügig weiter behandeln

Der federführende Handelsausschuss des EU-Parlaments hat sich am Dienstag dagegen ausgesprochen, im Streit um das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA gesondert den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzurufen. Nur fünf Abgeordnete stimmten für eine solche Vorlage in Luxemburg, 21 dagegen. Damit bleibt für die Bürgervertreter der Weg frei, zügig über die Ratifizierung des Übereinkommens zu entscheiden.

Die EU-Kommission beschloss bereits im Februar, den Vertragstext ihrerseits durch den EuGH prüfen zu lassen. Dabei soll es vor allem darum gehen, ob ACTA mit dem Gemeinschaftsrecht, den EU-Verträgen und den europäischen Grundrechten vereinbar ist. Der neue parlamentarische Berichterstatter für das Abkommen, David Martin von der sozialdemokratischen Fraktion, machte in Folge den Vorschlag, dass die Abgeordneten in Eigenregie Luxemburg weitere Fragen vorlegen könnten. Schattenberichterstatter Christofer Fjellner, ein Mitglied der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), meinte, dass in diesem Rahmen auch Bedenken der Zivilgesellschaft besser aufgenommen werden könnten.

Dem heutigen Votum war am Vormittag eine turbulente Debatte zu Verfahrensfragen vorangegangen. Martin zog dabei seine ursprüngliche Idee mehr oder weniger wieder zurück. Viele Kollegen hätten sich gegen eine Verzögerung des Ratifizierungsprozesses und den von dem Schotten zunächst anvisierten Zwischenbericht vor der Sommerpause ausgesprochen, gab er zu Protokoll. Zugleich kündigte er an, bis Ende April nun seine Empfehlung ausarbeiten zu wollen, ob das Parlament ACTA ablehnen oder befürworten wolle. Darüber könne der Ausschuss dann Ende Mai und das Plenum in Straßburg noch im Juni oder Juli abstimmen.

Sein Fraktionskollege Bernd Lange erklärte, dass die Abgeordneten als "die politischen Entscheider" rasch in die Arbeit einsteigen und deutlich die Schwächen des Vertrags herausarbeiten sollten. Der SPD-Politiker plädierte so dafür, beim ursprünglichen Zeitplan zu bleiben und sich nicht von der EuGH-Vorlage ablenken zu lassen. Helmut Scholz von den Linken warnte ebenfalls davor, auf Zeit zu spielen: "Wir sollten als Parlament dranbleiben und an dem Dossier arbeiten."

Der CDU-Abgeordnete Daniel Caspary gab dagegen zu bedenken, dass es keinen schriftlichen Antrag für einen Zwischenbericht oder eine eigene EuGH-Vorlage gebe und daher auch nicht über diese Frage abgestimmt werden könne. Da der ACTA-Text noch viele rechtliche Probleme aufwerfe, sei eine Auszeit zu nehmen, um diese zunächst zu klären. Der Ausschussleiter, der spanische Sozialist Vital Moreira, sah die formalen Vorschriften für eine Abstimmung über das weitere Vorgehen jedoch als erfüllt an. Eine Entscheidung sei nötig, um auch die laufenden Koordinierungsgespräche mit dem EU-Rat aufrecht erhalten zu können.

Jérémie Zimmermann von der Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net begrüßte die Tatsache, dass der Ausschuss den technischen Verfahrenstrick der EuGH-Vorlage abgelehnt habe. Es seien bereits zahlreiche demokratische und politische Problemfelder des Abkommens umrissen worden wie etwa außergerichtliche Vorgaben zum Unterdrücken von Filesharing, denen sich die Abgeordneten nun stellen müssten.

Fragen des irischen High Court zur Vorratsdatendatenspeicherung an den EuGH

Ein Frühlingsvöglein hat mir die konkreten Fragen zugetragen, die der Irische High Court dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Prüfung der EU-Richtlinie (RL) zur Vorratsdatenspeicherung mit dem Gemeinschafstrecht und der Grundrechtscharta vorgelegt hat. Mit im Päckchen waren gleich ein paar mehr oder minder juristische Bemerkungen dazu, die ich leicht gekürzt dabei lasse.

1. Is the restriction on the rights of the Plaintiff in respect of its use of mobile telephony arising from the requirements of Articles 3, 4, and 6 of Directive 2006/24/EC incompatible with Article 5.4 TEU in that it is disproportionate and unnecessary or inappropriate to achieve the legitimate aims of: Ensuring that certain data are available for the purposes of investigation, detection and prosecution of serious crime? and/or Ensuring the proper functioning of the internal market of the European Union?

Kommentar: Ausgangsthese des Gerichts scheint eine Beschränkung der Rechte des Klägers auf Nutzung seines Mobiltelefons zu sein, die durch die Artikel 3, 4 und 6 der RL Vorratsdatenspeicherung ausgelöst werden. Gefragt ist danach, ob dies vereinbar ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach Artikel 5 Abs. 4 EUV, wenn die Ziele der RL entweder das Vorhalten der Daten für Strafverfolgungsmaßnahmen oder das Funktionieren des Binnenmarktes sind.

Artikel 3 Absatz 1 der RL formuliert die Verpflichtung der MS, Maßnahmen zu ergreifen, damit Daten auf Vorrat gespeichert werden.

Artikel 3 Absatz 2 enthält eine spezielle Regelung zur erfolglosen Anrufversuchen.

Artikel 4 der RL bestimmt, dass die MS in ihrem innerstaatlichen Recht Regelungen zum Zugang (Verfahren und Bedingungen) zu den auf Vorrat gespeicherten Daten treffen und hierbei die einschlägigen Bestimmungen der EU oder des Völkerrechts berücksichtigen.

Artikel 6 der RL enthält die Speicherungsfrist von mindestens sechs und höchsten 24 Monaten.


2. Specifically, is Directive 2006/24/EC compatible with the right of citizens to move and reside freely within the territory of Member States laid down in Article 21 TFEU? Is Directive 2006/24/EC compatible with the right to privacy laid down in Article 7 of the Charter and Article 8 ECHR? Is Directive 2006/24/EC compatible with the right to the protection of personal data laid down in Article 8 of the Charter? Is Directive 2006/24/EC compatible with the right to freedom of expression laid down in Article 11 of the Charter and Article 10 ECHR? Is Directive 2006/24/EC compatible with the right to Good Administration laid down in Article 41 of the Charter?

Kommentar: Es wird nach der Gültigkeit der RL gefragt in Bezug auf das Recht auf Freizügigkeit. Dass in der Folge in Irland in Bezug auf die Anwendung des die RL umsetzenden Rechts eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit erfolgt, ist möglich. Weiter wird nach der Vereinbarkeit mit der Grundrechtecharta gefragt, im einzelnen Artikel 7 das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, Artikel 8 das Recht auf Datenschutz, Artikel 11 das das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit und Artikel 41, Recht auf gute Verwaltung.


3. To what extent do the Treaties - and specifically the principle of loyal cooperation laid down in Article 4.3 of the Treaty on European Union - require a national court to inquire into, and assess, the compatibility of the national implementing measures for Directive 2006/24/EC with the protections afforded by the Charter of Fundamental Rights, including Article 7 thereof (as informed by Article 8 of the ECHR)?

Kommentar: In dieser Frage geht es um die Verpflichtung des nationalen Gerichts, die nationale Umsetzungsgesetzgebung am Maßstab der EU-Verträge zu prüfen. Die Charta gilt für die Mitgliedsstaaten bei der Durchführung von Unionsrecht. Dabei sind alle staatlichen Stellen aufgerufen, die Vereinbarkeit zu beachten.

Zum weiteren Vorgehen im Hinblick auf die von Brüssel angedrohte Nichtumsetzungsklage gegen Deutschland: Vorabentscheidungsverfahren über die Gültigkeit einer RL durch den EuGH sind zwar kein Anlass ist, von einer Vertragsverletzungsklage wegen Nichtumsetzung der RL gegen Deutschland abzusehen. Aber: Sind beide Klagen parallel anhängig, kann deren Verbindung oder die Aussetzung der Vertragsverletzungsklage geprüft werden. Der Gerichtshof kann sich auf das ein oder andere einlassen.

Samstag, 10. März 2012

WIPO-Patentstatistik: Neuer Rekord an Schutzrechtanträgen

Patente waren 2011 so begehrt wie nie, denn die laufenden Patentkriege wollen angefüttert werden: Die Weltorganisation für geistiges Eigentum WIPO hat Anfang der Woche ihre jährliche Patentstatistik veröffentlicht. Die USA, Japan und Deutschland führen die Rangliste erneut an, aber vor allem China holt rasant auf. Softwarepatente bleiben weit vorn dabei:
Despite difficult economic conditions, international patent filings under the WIPO-administered Patent Cooperation Treaty (PCT) set a new record in 2011 with 181,900 applications – a growth of 10.7 % on 2010 and the fastest growth since 2005.1 China, Japan and the United States of America (US) accounted for 82 % of the total growth. Chinese telecommunications company ZTE Corporation was the biggest filer of PCT applications in 2011. ... Among the top filing countries, PCT applications from China (+33.4 %), Japan (+21 %), Canada (+8.3 %), the Republic of Korea (+8 %) and the US (+8 %) saw the fastest growth in 2011. European countries witnessed a mixed performance, with Switzerland (+7.3%), France (+5.8 %), Germany (+5.7 %) and Sweden (+4.6 %) experiencing growth, and the Netherlands (-14 %), Finland (-2.7 %), Spain (-2.7 %) and the United Kingdom (-1 %) seeing declines. ... Digital communications with 11,574 (or 7.1 % of total) published applications remained the field of technology accounting for the largest share of total PCT applications in 2011, followed by electronic machinery (6.9 %), medical technology (6.6 %) and computer technology (6.4 %).

FDP Bayern gegen Leistungsschutzrecht

Am vorigen Sonntag beschloss der Koalitionsausschuss von FDP und CDU/CSU im Bund, ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag wahr zu machen und doch noch ein Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse im Internet einzuführen. Dem Vorhaben weht nun aus den Reihen der Liberalen aus Bayern eine frische Brise entgegen: Wie der FDP-Netzpolitiker Jimmy Schulz gerade durchgab, hat der am Samstag in Lindau am Bodensee tagende Parteitag der bayerischen freiheitlichen Demokraten einen Antrag mit dem Titel "Urheberrecht und Neue Medien liberal gestalten" verabschiedet. Darin sprechen sich die Delegierten gegen das Leistungsschutzrecht für Verleger aus. Stattdessen werden laut Schulz andere Prioritäten gesetzt:
Ein liberales Urheberrecht in der digitalen Welt beinhaltet faire, zeitgemäße Regelungen, wie Fair-Use-Klauseln, freie Lizenzen für staatlich finanzierte Inhalte und Creative Commons.
Pikant daran: Der bayerische Bundestagsabgeordnete setzte sich beim Nein zu der Schutzrechterweiterung in einer Kampfabstimmung gegen die bayerische FDP-Vorsitzende und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger durch. Das ist ein klares Signal, dass es die Initiative des Koalitionsausschusses im Bundestag nicht leicht haben wird.