Sonntag, 6. Mai 2012

re:publica: Piratenpartei-Gründer stellt Technik zum Schwarm-Management vor


Rick Falkvinge, Mann der ersten Stunde der schwedischen Piratpartiet, hat mit Activizr ein Werkzeug zum Verwalten sozialer Bewegungen angekündigt. Die Web-basierte Software werde "im Sommer verfügbar sein" und wie vergleichbare Tools der Piraten allen Interessierten gemeinfrei angeboten, erklärte der Aktivist am Freitag auf der Netzkonferenz re:publica in Berlin. Derzeit habe man erste Beta-Nutzer zum Test des Programms eingeladen.

Activizr erlaube das Anlegen verschiedener Gruppen wie Mitglieder, Leiter, Aktivisten oder freiwillige Helfer, führte Falkvinge aus. Anführer schwarmartiger Strukturen, die das Optimum in der vernetzten Welt darstellten, würden mit der Software befähigt, Erfolge aller Beteiligten leichter auszumachen und eine "Kultur der Belohnung" zu etablieren. Dies fange mit einer automatischen Erinnerung an, neue Mitglieder ausdrücklich persönlich willkommen zu heißen. Darüber hinaus helfe das Werkzeug dabei, Pressemitteilungen zu schreiben und an voreingestellte Kategorien von Journalisten per Mausklick zu versenden.

In das Tool eingeflossen sind die Beobachtungen, die Falkvinge in den vergangenen Jahren zum Schwarm-Management angestellt hat und die er in seinem in Bälde erscheinenden Buch Swarmwise veröffentlichen wird. Um eine derartige soziale Bewegung starten zu können, brauche es ein klar greifbares und glaubhaftes Ziel, an dessen Verwirklichung letztlich jeder mitarbeiten können müsse, plauderte der Schwede vorab aus dem Nähkästchen. Ein Schwarm trete eigentlich an, um etwas Unmögliches zu verwirklichen. Es sei daher wichtig, zuerst das vorhandene Potenzial durchzurechnen, statt mit einem "Bullshit-Bingo" zu starten. Schließlich lege man es darauf an, dass viele Mitschwimmer ihre Freizeit im Glauben an den gemeinsamen Erfolg opferten.

Im Fall der Piratpartiet sei ihm und seinen Mitgründern klar gewesen, dass es mehrere Millionen Filesharer in dem skandinavischen Land gebe und so das Potenzial für die geplante neue politische Kraft vorhanden sein müsste, blickte Falkvinge zurück. Habe man die Grundidee dann einmal veröffentlicht, werde sie nach einer solchen Vorarbeit rasch ihren Weg in die sozialen Netzwerke finden. Anschließend gelte es, das Gerüst für die Bewegung zu bauen und Hierarchien zu schaffen. Dabei sei es unerlässlich, hinzustrebende Mitglieder und Sympathisanten in regionale Einheiten aufzuteilen. Dabei könne es helfen, die "magischen Zahlen" 7, 30 und 150 im Auge zu behalten. Die beiden letzten entsprächen der Größe eines Klassenzimmers beziehungsweise eines Stammes. Die kleinere Menge der Gruppenleiter und des Anführers sowie seines Stellvertreters sei so auszurichten, dass nicht ständig eine Pattsituation herbeigeführt werde.

Auch im digitalen Zeitalter für unabdingbar hält der Praktiker regelmäßige Gruppentreffen vor Ort. Im Vordergrund stehen müsse dabei die Devise, dass es "ein Lächeln und einen Handschlag" für die Motivation der Mitstreiter bedürfe. Länger als eine Stunde sollten die Zusammenkünfte nicht dauern. Was bis dahin nicht angesprochen worden sei, könne auch nicht wirklich wichtig sein.

Habe man diese Voraussetzungen geschaffen, dürfe man den Schwarm loslassen, ging Falkvinge weiter ins Detail. Für die tägliche Arbeit habe sich in Ländern wie Schweden oder Finnland bei der Piratenpartei die Regel etabliert, dass jeder Aktivist im Namen der Vereinigung sprechen könne, sobald er drei Gruppenmitglieder hinter sich habe. Dieser Ansatz, der auf Vertrauen beruhe und schnelle Entscheidungen auch im Notfall gewährleiste, sei in den fünf Jahren seiner Zeit als Parteiführer kein einziges Mal missbraucht worden. Dies zeige, dass die Bereitschaft im Schwarm groß sei, Verantwortung entsprechend der eigenen Möglichkeiten zu übernehmen.

Für Konfliktlösungen hat Falkvinge auch mit dem Activizr noch kein Patentrezept gefunden. Mit Abstimmungen schaffe man nur Verlierer, beklagte der Oberpirat und fügte an: "Democracy sucks." Auf Nachfrage erläuterte er, dass er keinesfalls die Demokratie an sich in Frage stellen wolle. Wer Wahlen durchführe und auf das Herbeiführen von Mehrheiten setze, stoße aber das unterlegene Lager vor den Kopf. Auch wenn es sich dabei etwa nur um zwei Prozent der Mitglieder handle, könnten diese doch entscheidend sein für das Durchbringen des Gesamtprojekts. Es sei daher gegebenenfalls besser, Streitfragen länger mithilfe von Feedback-Plattformen wie Liquid Democracy auszudiskutieren und harte Kursentscheidungen zu vermeiden.

Generell sei Spaß ein entscheidender Faktor, um die Leute bei der Stange zu halten, kam Falkvinge auf launigere Themen zu sprechen. Es sei empfehlenswert, Aktivitätsschwellen immer weiter abzusenken. Zum Werkzeugsets des Schwarms müsse es zudem gehören, die "alten" Medien für seine Sache zu gewinnen und sie gleichsam in Besitz zu nehmen. "Pwn the Media", gab der Pirat im Hackerslang als Devise aus. Wer etwa auf den Mars fliegen wolle, müsse sicherstellen, dass ihn die Presse jedes Mal beim Anspielen auf dieses Thema als Experten heranziehe und zitiere. Ein spezielles Team müsse permanent die Nachrichtenlage im Auge behalten und gegebenenfalls spätestens binnen 40 Minuten über Applikationen wie derzeit noch das Piratenpad eine Presseerklärung erstellen und verteilen.

Die deutschen Piraten lobte der Veteran dafür, dass sie sich schon auf ihrem ersten Bundesparteitag ein gründlicheres Fundament gegeben hätten als ihre Pendants in anderen Ländern. Beifällig merkte Falkvinge ferner an, dass die hiesigen Freibeuter ihr Programm rasch erweitert hätten. Sie seien keine reinen Protestler und Kämpfer für Internetfreiheiten, sondern hätten den "Lebensstil einer vernetzten Welt" zu ihrer Grundanschauung erklärt.

Langfassung eines Beitrags für heise online.