Sonntag, 10. Juni 2012

Scoring per Crowdsourcing mit Facebook-Daten

Im Lauf der Woche gab es lautstarke Proteste gegen das Planspiel der Schufa, mithilfe eines Forschungsprojekts am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam nutzergenerierte Inhalte auf Facebook für die Prüfung der Kreditwürdigkeit per Scoring zu erschließen. Die in der Pressearbeit immer sehr aktive wissenschaftliche Einrichtung zog daraufhin die Notbremse und kündigte nach eigenen Angaben den Vertrag mit dem Finanzdienstleister. Anderswo ward bereits darüber spekuliert, dass vergleichbare Ansätze mit ein paar Zeilen Code recht schnell zusammengezimmert werden könnten im Zeitalter der ungebremsten Datenflüsse. Und wie immer ist die Entwicklung in den USA bereits etwas weiter: Dort bietet ein junges Online-Unternehmen längst die von der Schufa gewünschten Dienste ganz offiziell an, wie Technology Review berichtet:
A startup called Lenddo hopes to return lending to that community bank era, but with a modern twist. The company gauges a person's creditworthiness using his or her online reputation, as assessed through sites such as Facebook, Twitter, and LinkedIn, to grant loans. To secure repayment, it forgoes collateral and instead relies on peer pressure through the same social networks. ... The company relies on three classes of algorithms to gauge a person's likelihood of loan repayment. One validates truthfulness; for example, it would be statistically odd if a supposed engineering student in Bogota had few friends at school or never wrote e-mails containing certain words. Another looks for behavioral and demographic clues that predict the probability of repayment, similar to how online ads are targeted based on Web surfing patterns today. The last element Stewart calls a "PageRank for people," referring to Google's method for returning high-quality search results by examining the credibility of incoming hyperlinks.

Rufe nach globaler Anti-Botnetz-Initiative

Länder wie Japan, Deutschland oder Australien haben bereits seit einiger Zeit nationale PC-Entseuchungszentren eingerichtet. Andere Staaten tun sich schwer mit entsprechenden Vorstößen für Anti-Botnetz-Initiativen, was auf dem 25. Treffen der Messaging, Malware and Mobile Anti-Abuse Working Group (M3AAWG) am Mittwoch in Berlin für Kontroversen sorgte. Peter Coroneos etwa, Ex-Chef der australischen Internet Industry Association, zeigte sich verwundert, dass vor allem die USA das Thema so spät aufgegriffen hätten. Als frustrierend bezeichnete er vor allem die fehlende Bereitschaft jenseits des Atlantiks, offenbar aus Wettbewerbsdenken heraus keine Informationen über Malware-Bedrohungen und Infektionen auszutauschen.

Auf dem südöstlichen Kontinent selbst habe sich die Internetwirtschaft vor zwei Jahren auf einen Kodex geeinigt, dem sich 34 Provider mit rund 90 Prozent Marktabdeckung angeschlossen hätten, führte Coroneos aus. Der "Internet Industry Code of Practice" (icode) enthalte Vorgaben zum Aufdecken, Informieren, Eskalieren und Berichterstatten rund um verseuchte Rechner. Wichtig sei es dabei insbesondere, Betroffene beim Entfernen der Malware zu helfen.

Genaue Zahlen über den Erfolg der im Dezember 2010 in Kraft getretenen Regeln konnte Coroneos zwar nicht vorweisen. Er verwies aber auf die große Unterstützung, die der Ansatz national aus Kunden- und Regierungskreisen erfahre. Wirklich Sinn machen laut dem icode-Präsidenten aber nur "globale Partnerschaften" in diese Richtung, da sonst die Nutzer eines Tages Diensten wie Online-Banking den Rücken kehrten. Er habe einen ersten Schritt in diese Richtung gemacht und den Kodex in Südafrika zur Unterschriftsreife gebracht.

Auch in den USA liefen Vorbereitungen für die Verabschiedung freiwilliger Leitlinien zur Botnetz-Bekämpfung, wehrte sich Kate Dean, Geschäftsführerin der US Internet Service Provider Association US ISPA, gegen den Vorwurf der Untätigkeit. Nachdem das US-Wirtschaftsministerium und das Department of Homeland Security (DHS) im vergangenen Jahr ein solches Vorhaben angemahnt hätten, habe die Internetwirtschaft gemeinsam mit anderen Industriezweigen wie dem Finanzsektor im Januar erste Ziele für eine "Industry Botnet Group" (IBG) umrissen.

Vergangene Woche habe dazu nach der Einrichtung eines Steuerungskomitees eine Besprechung im Weißen Haus stattgefunden, auf der erste Prinzipien für die Gruppe festgezurrt worden seien, berichtete Dean. Die Selbstregulierungsbemühungen könnten aber noch durch laufende gesetzgeberische Schritte zur Cybersicherheit drastisch geändert werden. Letztlich hielt auch sie eine "globale Antwort" auf das Botnetz-Problem für nötig, die ohne Einbindung der Regierungen nicht zu finden sei.

Im Rahmen der M3AAWG und dem Communications Security, Reliabitliy and Interopibility Council (CSRIC) der Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC) sei parallel ein spezieller Anti-Bot-Kodex für Zugangsanbieter entwickelt worden, ergänzte der Arbeitsgruppenleiter Mike O'Reirdan. Die Beteiligten deckten rund 80 Prozent des Breitbandmarkts in den USA ab. Es seien aber noch einige Hürden zu überwinden, um auch die restlichen Provider an Bord zu bringen. Bislang fehle ein System, um die Auswirkungen der gemeinsamen Anstrengungen zu messen. Eventuell stellten solche Zahlenspielereien aber auch nur eine Zeitverschwendung dar, wenn sich das Problem mittlerweile auf Malware in Kühlschränken oder Autos verschoben habe.

Thorsten Kraft vom Verband der deutschen Internetwirtschaft eco konnte dagegen aktuelle Statistiken von der hiesigen, vom japanischen Telecom Incident Information Sharing and Analysis Center inspirierten Plattform botfrei.de präsentieren. Demnach haben die Seite seit September 2010 rund 2,3 Millionen Surfer angesteuert, das zugehörige Blog rund vier Millionen. Das Entseuchungsprogramm DE-Cleaner komme auf 1,3 Millionen Downloads und Aktivierungen. 382.493 Nutzer seien bis April über eine Infektion informiert worden, von denen nur rund zwei Prozent Telefon-Support benötigt hätten. 17.000 Systeme seien gescannt worden, wovon 40 Prozent noch Malware aufgewiesen hätten.

Als nächsten Schritt bezeichnete Kraft die Arbeit an einem europäischen Advanced Cyber Defense Center (ACDC). Die EU-Kommission habe dieses mit acht Millionen Euro Startfinanzierung ausgerüstete Projekt ausgeschrieben, für das sich der eco zusammen mit mehreren Partnern beworben habe. Voraussetzung sei Beteiligung von mindestens vier Ländern und weiteren Interessensvertretern wie Strafverfolgern. Geplant sei in diesem Rahmen, eine zentrale Datenbank mit Informationen über das Verhalten von Schadcode aufzubauen. Eine Entscheidung über die eingegangenen Bewerbungen stehe binnen vier Wochen in Brüssel an.

Den 1998 eingeschlagenen finnischen Weg zu botfreien IT-Systemen schilderte Arttu Lehmuskallio von TeliaSonera. "Wir sind sehr schnell bei der Abwehr", führte der Techniker aus. Täglich erstellten die großen Provider des skandinavischen Landes Statistiken über infizierte Rechner. Für jeden Tag, den ein entsprechendes Gerät am Netz bleibe, gebe es einen neuen Eintrag. TeliaSonera führe auch eine Datenbank mit Problemkunden und habe den Versand von Warnungen weitgehend automatisiert. Zusätzlich habe man ein "umgekehrtes Darknet" aufgebaut: "Wir loggen allen Netzverkehr, wenn ein Ziel nicht im offiziellen Routingverzeichnis aufgeführt ist", erläuterte Lehmuskallio. Nicht erreichbare Adressen sollten dabei nicht verwendet werden. Als auffällig werde gewertet, wenn Teile des Datenverkehrs über 100 einzelne Ziele ansteuerten und dabei eine gewisse Zahl an Ports gescannt würde.

Langfassung eines Beitrags für heise online.