Montag, 16. Juli 2012

CSU-Innenexperte Uhl verteidigt neues Meldegesetz

Hans-Peter Uhl, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat die "hysterisch abstrakte Diskussion" um das neue Melderecht kritisiert und den einschlägigen Bundestagsbeschluss gegen heftige Proteste verteidigt. Die zunächst vorgesehene Einwilligungslösung der Bürger in die Weitergabe ihrer Stammdaten an Marketingexperten und Adresshändler sei für die Behörden nicht praktikabel, erklärte der CSU-Politiker am Dienstag im Deutschlandfunk. Es geht gar nicht um die Werbewirtschaft, sondern um legitime Einzelanfragen von Bürgern. Allein in München gebe es rund 100.000 derlei Ersuche pro Jahr, wenn etwa jemand eine Abiturfeier machen auf der Suche nach ehemaligen Mitschülern sei.

Der ursprüngliche Regierungsentwurf für das Bundesmeldegesetz sah in Paragraph 44 aber die Notwendigkeit einer Einwilligung der von einer einfachen Meldeauskunft betroffenen Personen nur dann vor, wenn die Informationen "für Zwecke der Werbung oder des Adresshandels" verwendet werden sollten. Wenn ein Bürger zu einer anderen Person eine Abfrage durchführt, hätten die Meldeämter aber nach wie vor auch gemäß der Initiative des Bundeskabinetts Namen, derzeitige Anschriften, Doktorgrad sowie die mögliche Tatsache eines Ablebens ohne Wissen und Erlaubnis des Betroffenen herausgeben dürfen. Selbst eine Nutzungsmöglichkeit für allgemeine "gewerbliche Zwecke" war vorgesehen.

Uhl spricht trotzdem von einer "glaubhaften Versicherung" von "Fachleuten aus den Einwohnermeldeämtern", dass bei der geplanten Opt-in-Regelung jede einzelne Bürgerabfrage gesondert hätte geprüft werden müssen. Die "Massen von Daten für die Werbewirtschaft" kämen zudem nicht von den Meldebehörden, da dort jede einfache Meldeauskunft mit rund zehn Euro zu Buche schlage. "Jeder Adresshändler wäre pleite, wenn er diesen Weg beschreiten würde", betonte der Christsoziale. "Die Menschen geben ihre Anschrift und ihre Namen massenhaft her, hunderttausendfach für Preisausschreiben, bei Rabattsystemen, und sie denken sich überhaupt nichts dabei." So entstünden Adresssammlungen völlig kostenlos ohne jedes Einwohnermeldeamt und ohne Einwilligung und Widerspruchslösung. Uhl hält daher auch eine Zustimmung des Bundesrats für möglich, über den die Opposition den Bundestagsbeschluss rückgängig machen will.

Der Vorsitzende des Innenausschusses des Parlaments, Wolfgang Bosbach (CDU), räumte dagegen gegenüber der "Welt" ein, dass den Politikern die überzeugende Begründung der Rechtsänderung mit der schier unbeschränkten Weitergabe der Stammdaten auch an Werber und Adresshändler bislang nicht gelungen sei. Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz bezeichnete die mit deutlicher Verspätung eingesetzte öffentliche Aufregung als völlig berechtigt. Die Opposition hätte ihre Bedenken gegen die schwarz-gelben Änderungen im Bundestag lautstärker formulieren und etwas eine namentliche Abstimmung beantragen müssen.

Gisela Piltz, innenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, zeigte sich offen für Korrekturen. Die Liberale lud die Union ein, möglichst rasch zur Einwilligungslösung zurückzukommen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger setzt wie andere Regierungsmitglieder auf Nachbesserungen durch den Bundesrat. Den Opt-in-Ansatz halte sie für den richtigen Weg, sagte die FDP-Politikerin der "Passauer Neuen Presse".

Auch aus Brüssel bläst den deutschen Parlamentariern Gegenwind ins Gesicht. EU-Justizkommissarin Viviane Reding verwies gegenüber der dpa auf ihre Überraschung, "dass einige deutsche Politiker die Profitinteressen von hiesigen Werbeunternehmen vor das Grundrecht der Bürger auf Datenschutz stellen". Die Luxemburgerin warnte vor unüberschaubaren Folgen: "Wie will der Staat glaubhaft von Unternehmen wie Facebook und Google verlangen, dass sie sich an strenge Datenschutzauflagen halten, während er selbst einen Ausverkauf des Datenschutzes an die Privatwirtschaft betreibt?" Das Meldegesetz widerspreche dem Geist der europäischen Datenschutzregeln.

Die Gesellschaft für Informatik (GI) appellierte an die Bundesregierung und die Länderkammer, das Inkrafttreten dieser Gesetzesänderung zu verhindern. Es könne nicht angehen, dass der Staat die Daten seiner Bürger an kommerzielle Verwerter verkauft. "Wir fordern darüber hinaus, dass auch über die bislang geltende Widerspruchsregelung nachgedacht wird", unterstrich GI-Präsident Oliver Günther. Auf die vom Staat gesammelten Daten sollten prinzipiell nur staatliche Stellen Zugriff haben. Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), der sonst kein Freund einer "Datenhysterie" unter der Bevölkerung ist, sprach von einem Skandal, dass die Regierungsfraktionen die berechtigten Interessen der Bürger den Wünschen der Adresshändler geopfert hätten.

Der Geschäftsführer des Hightech-Verbands Bitkom, Bernhard Rohleder, geht nicht zuletzt anhand einer umstrittenen Denial-of-Service-Attacke gegen den Bundestagsserver davon aus, dass das Meldegesetz – wie ACTA – durch den "Druck der Straße" gekippt wird. Die Zeiten sind vorbei, in denen einschlägige Gesetzesvorhaben im Hauruck-Verfahren durchs Parlament getrieben werden könnten. Solche Projekte müssten mit der Öffentlichkeit diskutiert, transparent gemacht und im Dialog zwischen Politik und Bürgern vermittelt werden. Erstaunlich sei aber, dass der Bundestagsbeschluss "auch von jenen scharf kritisiert wird, die in ihrem eigenen Verantwortungsbereich zum Beispiel in den Bundesländern seit Jahren kritiklos ähnliche Verfahren praktizieren". Letztlich könne es im Interesse der Verbraucher sein, von Herstellern, Händlern und Dienstleistern Informationen zu erhalten. In einer repräsentativen Bitkom-Umfrage hätten 61 Prozent der Befragten erklärt, Werbung erhalten zu wollen.

Langfassung eines Beitrags für heise online.